Flüchtigkeit, Entmaterialisierung, Geschwindigkeit sind Begriffe, die beim Gedanken an die Digitalisierung mitschwingen. Hinter jeder Anwendung, hinter jedem internetfähigen Gerät stehen gigantische Infrastrukturen. Diese Rechenzentren, Elektrizitätswerke, Glasfasernetze befinden sich mitten unter uns – und bleiben dennoch dem Auge in der Regel verborgen. Ihre architektonische Gestaltung, ihre Einbindung in die Umgebung orientiert sich an den technischen, wirtschaftlichen und politischen Vorgaben einer sich digitalisierenden Gesellschaft.
Die Installation Kaltgang von Hannes Rickli nutzt Bauteile, die in einem normierten Verfahren hergestellt und die in Datenzentren als Rahmenkonstruktion für die serielle Unterbringung und Kühlung von Servern verwendet werden. Sie macht die formalästhetische Struktur sichtbar, die sonst hinter ihrer Funktion der Datenverwaltung und -verteilung zurücktritt. Das Grundmass der digitalen Hardware ist die 19-Zoll-Einheit, die sich seit den 1960er-Jahren generisch herausgebildet hat. Die im Ausstellungsraum gezeigte begehbare Skulptur entspricht eins zu eins der Infrastruktur, wie sie im Jahr 2020 in Rechenzentren eingesetzt wurde. Die ins Endlose weitergedachte Architektur kann als die unsichtbare «Akropolis des digitalen Zeitalters» bezeichnet werden.
Andrea Helbling hingegen begibt sich mit ihrer Kamera auf eine Expedition durch die Räume, in denen sich die digitalen Infrastrukturen materialisieren. Dabei ist ihre Herangehensweise an diese Orte ganz unterschiedlich: Die Schwarz-Weiss-Bilder entstanden ohne das üblicherweise von der Architekturfotografin benutzte Stativ, als flüchtige Impressionen in der Hand ausgelöst. Sie halten weniger messbare Informationen über eine bestimmte Situation fest, sondern lassen Empfindungen und Atmosphären anklingen, die einen in den meist unbelebten Räumen umfangen: das Haptische und Olfaktorische von Beton und Stahl, Geräusche und Temperaturen vielleicht. Dinge, die einen situativ treffen und berühren, die sich jedoch kaum einordnen lassen. In ihrer rohen und direkten Art befragen die auf analoges Filmmaterial teils unter-, teils überbelichteten Bilder die Ikonografie dieser technischen Welten, die uns in den Medien stets als ausgeleuchtete Reinräume in serieller Ordnung und ohne Fremdkörper vermittelt werden.
Einen anderen Weg wählte Helbling mit ihren Farbfotografien, bei denen sie die angetroffenen Räume und Infrastrukturbauten mit der Kamera studierte, um sie in visuell verständliche und prägnante Bilder zu verwandeln. Sie bindet sie ein in die urbanen oder ruralen Landschaften, in die Zeiten und Kulturen, in denen sie sich befinden. Durchzogen vom Wissen um das Unsichtbare, gewähren diese Fotografien Einblick in die gebaute Realität des Digitalen.
Die Fotografien entstanden an fünf ausgewählten Orten:
- In Gondo im örtlichen Elektrizitätswerk und in der dort ansässigen Bitcoin Farm.
- In einem neuen Rechenzentrum, das gerade in der Ostschweiz entsteht.
- Im Swiss National Supercomputing Centre CSCS in Lugano. Hier berechnet unter anderem MeteoSwiss die Wetterprognosen.
- Im Milchbucktunnel, in dem neben dem Autoverkehr der Datenverkehr für Verkehrssteuerung, Telekommunikation und Sicherheitsdienste fliesst.
- Im Elektronischen Rechenzentrum ERZ/W, das die PTT (ab 1997 Swisscom) 1972 in Ostermundigen bei Bern baute. Heute ist es eine Ruine des Informationszeitalters.
Hannes Rickli, Max Stadler, Monika Dommann (Hg.): Data Centers – Edges of a Wired Nation. Zürich: Lars Müller 2020
Kaltgang: Prof. Hannes Rickli, Institute for Contemporary Art Research, ZHdK
Digitale Infrastrukturen: Andrea Helbling in Zusammenarbeit mit dem Collegium Helveticum