Die Präsentation des Segensroboters BlessU-2 anlässlich des Reformationsjubiläums in Wittenberg führte 2017 zu einer Vielzahl an polarisierenden Medienberichten und Kommentaren von religiösen und nicht-religiösen Menschen. Obwohl es sich dabei nicht wirklich um einen Roboter, sondern eher um die stilisierte Version eines solchen in Form einer Ausstellungsinstallation handelt, hat sich in Studien gezeigt, dass dieser Segensroboter eine Vielzahl von Emotionen hervorruft und in der Lage ist, diese immer wieder von Neuem hervorzurufen.
Die Konfrontation und Interaktion mit diesem technischen Artefakt eröffnete sehr rasch fundamentale Fragen über das Wesen religiöser Kommunikation in digitalen Zeiten: Kann und darf eine Technologie wie ein Roboter segnen? Wie muss ein Roboter gestaltet sein, damit ihm eine religiöse Bedeutung zugesprochen wird? Bietet er womöglich eine Segenspraxis an, die auch oder sogar eher Menschen anspricht, die sich von der Kirche distanziert haben? Wenn digitale Technik mit so vielen Verheissungen und Heilsankündigungen verbunden ist, wird dann irgendwann eine nächste Generation religiöser Roboter als heilige und geistvolle Maschinen konstruiert werden?
Das Phänomen religiöser Roboter fasziniert und ist gleichzeitig ein vielversprechender Forschungsgegenstand. In den letzten Jahren wurden solche digitalen Artefakte in verschiedenen religiösen Kontexten entwickelt, präsentiert und eingesetzt, so zum Beispiel der buddhistische Mindar. Die eine Million Dollar teure Maschine hat die Gestalt von Kannon, der buddhistischen Gottheit der Barmherzigkeit. Bislang ist Mindar nicht KI-gesteuert, er rezitiert lediglich dieselbe vorprogrammierte Predigt über das Herz-Sutra immer und immer wieder.
Bemerkenswerterweise lässt sich die Entwicklung religiöser Maschinen und Automaten bis in die religiöse Kultpraxis des 16. Jahrhunderts zurückverfolgen.
Sowohl religiöse Roboter als auch die mit ihnen verbundene Forschung stehen in einem weitergehenden Zusammenhang, in dem es um das Verhältnis von Technologie und Religion geht, um das Menschsein in einer Kultur der Digitalität. In aktuellen theoretischen Ansätzen der Kommunikations- und Medientheorie wird die These vertreten, dass religiöse Roboter nicht einfach technische Medien zur digitalen Übertragung bestimmter religiöser Informationen sind. Vielmehr agieren sie als «kommunikative Agenten» und können als eigenständige Entitäten religiöser Begegnungen mit geradezu magischem Einfluss verstanden werden.
Dies knüpft an die Überzeugung des Theologen Paul Tillich an, wonach «Maschinen» magische Erfahrungen eröffnen können. Denn die Maschine habe ein Eigenleben, das jeden, der mit ihr umgeht, zwingt, sich in sie einzufühlen und ihr zuzuhören:
So scheinen religiöse Roboter bestimmte Begegnungserfahrungen als Entgrenzungserfahrungen zu versprechen, die auf eine Teilhabe am Göttlichen gerichtet sind. Zwar mag die Interaktion mit dem Roboter vielleicht keine tiefere Erfahrung leiblich-gemeinschaftlicher Teilhabe auszulösen. Und doch kann ein Roboter – theologisch gesprochen – in seiner ambivalenten magischen Dimension und Interaktion die Sehnsucht nach dem wecken, was uns unbedingt angeht.
Über das Beispiel des technischen Artefakts eines Segensroboters hinaus kommen damit zugleich Phänomene religiöser Praxis in einer Kultur der Digitalität in den Blick, deren wissenschaftliche Erforschung so interessant wie notwendig ist. Dies manifestiert sich in dem seit 2021 laufenden interdisziplinären Forschungsschwerpunkt «Digital Religion(s). Communication, Interaction and Transformation in the Digital Society» der Universität Zürich. Denn nicht erst durch die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie finden religiöse Überzeugungen verstärkt digitale Artikulationsformen. Sie verbreiten sich im wahrsten Sinn des Wortes grenzenlos global. Durch digitale Partizipation verändert sich die religiöse Ritualpraxis, sie wird vielfältiger und geschieht stärker als früher auf Augenhöhe. Im Internet wird anders geglaubt, nämlich individueller, fluider und freier. Über die religiöse Autorität entscheiden nicht mehr bestimmte kirchliche Autoritäten oder Religionsführer. Und die virtuelle religiöse Praxis ist offenbar auch ohne die leibliche Anwesenheit einer Gemeinschaft möglich. Damit aber stellen sich Fragen von ganz grundsätzlicher Art: Entsteht im Netz eine neue religiöse Wahrheit? Braucht eine digitale Religionspraxis noch eine leibliche Gemeinschaft? Verflüchtigt sich die religiöse Resonanz in virtuellen Räumen? Ist eine digitale, planetare Religion die Zukunft? Und zugleich wird damit eine viel weiter reichende ethisch-theologische Grundfrage aufgeworfen: Was kann religiöse Praxis zum Glauben und zum guten Leben in den Räumen der digitalen Gesellschaft beitragen?
Campbell, Heidi A. / Tsuria, Ruth (Eds.): Digital Religion. Understanding Religious Practice in Digital Media, Oxon/New York, 2022.
Beck, Wolfgang / Nord, Ilona / Valentin, Joachim (Hrsg.): Theologie und Digitalität. Ein Kompendium, Leipzig 2021.
Löffler, Diana / Hurtienne, Jörn / Nord, Ilona (2019): Blessing Robot BlessU2: A Discursive Design Study to Understand the Implications of Social Robots in Religious Contexts, in: International Journal of Social Robotics, 1—18.
Luthe, Swantje / Nord, Ilona / Löffler, Diana (2019): Segensroboter «BlessU-2» Forschungsimpulse für die Praktische Theologie angesichts der Entwicklung sozialer Roboter, in: Pastoraltheologie, 108(3), 107-123.
Schlag, Thomas / Nord, Ilona: On the Magical Dimension of Religion. Theological Questions Concerning Robots in Religious Contexts, in: Nørskov, M./Seibt, J./Quick, O. S. (Hg.), Culturally Sustainable Social Robotics. Proceedings of Robophilosophy 2020, Frontiers in Artificial Intelligence and Applications, Band 335, Amsterdam 2020, 606-610.
Tillich, Paul: The Spiritual Situation in Our Technical Society (1954), Edited by J. Mark Thomas, Mercer University Press: Macon 1988.
Prof. Dr. Thomas Schlag, PD Dr. Sabrina Müller, Universitärer Forschungsschwerpunkt «Digital Religion(s). Communication, Interaction and Transformation in the Digital Society», Theologische Fakultät der UZH
Prof. Dr. Ilona Nord und Team, Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Jörn Hurtienne und Team, Institut für Mensch-Computer-Medien, Julius-Maximilians-Universität Würzburg