Digitale Dreifaltigkeit

Diese Arbeit wirft einen Blick hinter die Fassade jener gesellschaftlichen Transformation, die technisch-nüchtern als Digitalisierung bezeichnet wird. Nach einer ersten Phase der Digitalisierung von Telefonie und Rundfunk sowie den Anfängen des Internets im späten 20. Jahrhundert befinden wir uns seit der Jahrtausendwende in einer zweiten Phase der Digitalisierung: der Digitalisierung der Gesellschaft. Sie offenbart sich uns als digitale Dreifaltigkeit, als ko-evolutionäres Zusammenspiel von Datafizierung, Algorithmisierung und Plattformisierung.

Digitale Dreifaltigkeit, 2022 © Michael Latzer, Abteilung Medienwandel & Innovation, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung, UZH; Hubertus Design: Valentin Kaiser, Kerstin Landis, Nathan Meyer, Jonas Voegeli

Die Datafizierung aller Lebensbereiche verdoppelt die Welt in Form von Big Data. Dabei handelt es sich um keine Eins-zu-Eins-Reproduktion im Binärcode, denn sie ist durch Auslassungen und Verzerrungen gekennzeichnet. Die Algorithmisierung von Auswahlprozessen – eine automatisierte Informationsauswahl und personalisierte Relevanzzuweisung – beeinflusst unser Verhalten und zielt auf diesem Wege auf die Monetarisierung der Big-Data-Ressourcen ab. Sie führt zu neuen Ungleichheiten und Machtverschiebungen auf der Grundlage von Datenbesitz und -kontrolle. Die Plattformisierung verändert die Organisation der Märkte hin zu mehrseitigen Märkten, kommerzialisiert auch das Soziale und optimiert so die Bedingungen für eine weitreichende Datafizierung und Algorithmisierung.

Digital verzerrte Verdoppelung, 2022 © Michael Latzer, Abteilung Medienwandel & Innovation, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung, UZH; Hubertus Design: Valentin Kaiser, Kerstin Landis, Nathan Meyer, Jonas Voegeli

Die digitale Dreifaltigkeit zeigt religionshafte Züge. Sie wird durch den festen Glauben an eine technisch steuerbare menschliche Evolution angetrieben. Das spiegelt sich wider im Streben nach einer gesteigerten menschlichen Leistungsfähigkeit via Nano-Bio-Info-Cogno-Konvergenz sowie künstlicher Intelligenz und ist mit einem für diesen Glauben stehenden Transhumanismus verbunden. Dessen Ziel ist es, menschliche Grenzen zu überwinden und nach bisher den Göttern vorbehaltenen Eigenschaften zu eifern – wie Allwissenheit, Allgegenwart, Allmacht und ewiges Leben.

Technische Überwindung menschlicher Grenzen, 2022 © Michael Latzer, Abteilung Medienwandel & Innovation, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung, UZH; Hubertus Design: Valentin Kaiser, Kerstin Landis, Nathan Meyer, Jonas Voegeli

Auf der Seite der Nutzerinnen und Nutzer wird die digitale Dreifaltigkeit durch die Konvergenz von digitaler Technologie und Religion in Form einer impliziten Alltagsreligion vorangetrieben. Diese routinierte, oft unreflektierte tägliche Praxis verändert individuelle Wirklichkeitskonstruktionen, prägt unsere Sicht der Welt, beeinflusst unser Verhalten und schafft somit eine digital transformierte gesellschaftliche Ordnung. Die Suche nach der adäquaten Governance der digitalen Dreifaltigkeit ist weltweit im Gange. Angesichts der Besonderheiten und gestiegenen Komplexität verlangt sie nach neuen Strategien und Ansätzen.

Plattformgesellschaft, 2022 © Michael Latzer, Abteilung Medienwandel & Innovation, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung, UZH; Hubertus Design: Valentin Kaiser, Kerstin Landis, Nathan Meyer, Jonas Voegeli

Verwandte Forschungsarbeiten

Michael Latzer (2021), «Digitale Dreifaltigkeit – kontrollierbare Evolution – Alltagsreligion»

Beteiligte Digitale Dreifaltigkeit

Prof. Dr. Michael Latzer, Abteilung Medienwandel & Innovation, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung, Universität Zürich

Jonas Voegeli, Visual Communication, ZHdK
Hubertus Design: Valentin Kaiser, Kerstin Landis, Nathan Meyer, Jonas Voegeli, Zürich
Sound Design: Andalus, Kochstudio Zürich

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